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Foto by Ben Gross
Andrea Johlige, MdL

Verfassungsminister gegen die Verfassung oder warum man das individuelle Recht auf Asyl nicht einfach abschaffen kann

Der Innenminister Brandenburgs, Michael Stübgen, befindet sich seit Monaten auf einem Feldzug gegen Geflüchtete indem er eine Flüchtlingskrise herbei zu reden versucht, die es in diese Form nicht gibt, indem er nach Grenzkontrollen ruft, die rein gar nichts bringen werden und nun, indem er dem Deutschlandfunk erklärt, dass er das individuelle Recht auf Asyl für überflüssig hält.

In einer DPA-Meldung wird er zudem wie folt zitiert:
„Vor dem Hintergrund steigender Flüchtlingszahlen sieht Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen das individuelle Recht auf Asyl in Deutschland kritisch. Nach dem Zweiten Weltkrieg und den Erfahrungen der Nazizeit sei es durchaus richtig gewesen. In den vergangenen 70 Jahren habe es jedoch massive Veränderungen der internationalen Fluchtbewegungen gegeben, sagte der CDU-Politiker und stellvertretende Ministerpräsident am Dienstag dem Deutschlandfunk. Der Individualanspruch sei nicht mehr die richtige Antwort.

„Wir haben im Moment im Artikel 16 zwei Zugangsstrukturen“, sagte Stübgen. „Es gibt den Individualanspruch und es gibt den Institutsanspruch über die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention.“ Der Individualanspruch als solcher sei überflüssig, so der Innenpolitiker.

„In diesem Zusammenhang wäre es durchaus möglich, dass wir als Deutschland in Zusammenarbeit zum Beispiel mit dem UNHCR Flüchtlinge aufnehmen“, argumentierte Stübgen. „Wir haben so ein kleines Programm in Brandenburg – das funktioniert sehr gut – mit Jordanien, wo wir über den UNHCR bis zu 200 Flüchtlinge aufnehmen“, sagte der Innenminister. „Damit verhindert man auch die mörderische Reise übers Mittelmeer oder über die Balkanroute oder über Moskau und Minsk.“

Diese Meldungen machen vor allem deutlich, dass dem Innenminister – der vor seiner Politiker-Laufbahn übrigens Pfarrer der Evangelischen Kirche war und deshalb schon einmal etwas von christlicher Soziallehre und einem christlichen Menschenbild gehört haben sollte – die Menschenwürde und die Menschenrechte völlig egal sind. Deutlich wird aber auch, dass die aktuelle CDU-Strategie – die wohl kurz gefasst besagt, dass man der der AfD dadurch Stimmen abjagen will, indem man die Themen der AfD bedient und sie zur Not auch rechts überholt – keinerlei Tabus kennt. Oder deutlicher: weder das Grundgesatz noch das Völkerrecht sind vor der CDU sicher.

Deshalb lohnt eine etwas ausführlichere Betrachtung dessen, was Stübgen hier mitteilt:

Beginnen wir mit dem individuellen Recht auf Asyl nach Grundgesetz. Dieses war eine der Lehren des Nationalsozialismus. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes schrieben auch unter dem Eindruck der fürchterlichen Verbrechen der Nazis und der Tatsache, dass nicht alle politischen Flüchtlinge aus Deutschland Aufnahme in anderen Ländern fanden, den einfachen Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ in den Artikel 16 des Grundgesetzes. Bis zum sogenannten Asylkompromiss 1993 bestand dies uneingeschränkt. 1993 wurde dieses Recht massiv eingeschränkt. Fortan hatten diejenigen, die über einen sogenannten sicheren Drittstaat einreisten, keinen Anspruch mehr auf politisches Asyl nach Grundgesetz. Da Deutschland nur von solchen sicheren Drittstaaten umgeben ist, sanken in der Folge die Anerkennungen drastisch, aktuell erhalten nicht einmal 1% der Geflüchteten politisches Asyl nach Grundgesetz.

Nun kann man sagen, aber hey, wenn da eh kaum noch wer Anspruch hat, kann man es auch abschaffen. Verfassungsrechtlich ist es umstritten ob man das individuelle Recht auf Asyl tatsächlich gänzlich abschaffen kann. Betrachtet man das Recht, vor politischer Verfolgung geschützt zu werden, als Schutz der Würde eines jeden Menschen, so ist es vom Artikel 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ umfasst und kann nicht abgeschafft werden. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht die massiven Einschränkungen des Asylrechts durch die Änderungen 1993 nicht beanstandet, so dass diese verfassungsrechtliche Frage nicht abschließend beantwortet werden kann.

Allerdings hat es nicht nur eine verfassungsrechtliche Dimension, sondern auch eine moralische. Es ist eine Frage des Menschenbildes, ob Menschen vor politischer Verfolgung Schutz genießen können oder eben nicht. Menschen nicht vor staatlicher Willkür, Verfolgung, Folter und Tod schützen zu wollen, ist die Konsequenz dessen, was der Minister hier mitteilt. Eine moralische Bewertung sei hierzu jedem selbst überlassen.

Doch schauen wir uns die Meldungen weiter an. Der Minster behauptet, die Genfer Flüchtlingskonvention begründe keinen Individualanspruch sondern einen „Institutsanspruch“. Das ist schlicht falsch und zeigt nicht zum ersten Mal, dass der Innenminister gern einmal Dinge in die Welt posaunt, von denen er keine Ahnung hat. Die Genfer Flüchtlingskonvention definiert, wer als Flüchtling gilt und wer nicht, sie formuliert auch Pflichten des Flüchtlings gegenüber dem Aufnahmeland. Vor allem aber legt sie fest, dass es verboten ist, einen Flüchtling in ein Land zurückzuweisen, in dem ihm Verfolgung droht. Und genau deshalb begründet die Genfer Flüchtlingskonvention ein Individualrecht und eben keinen „Institutsanspruch“.

Der Unterschied zwischen Asylrecht nach Grundgesetz und Flüchtlingsrecht nach Genfer Flüchtlingskonvention liegt nicht in der Frage des Individualrechts sondern in der Frage, wer von den Regelungen erfasst ist. Ersteres garantiert Asylrecht bei politischer Verfolgung (mit den genannten Einschränkungen bei der einreise aus sogenannten sicheren Drittstaaten), letzteres garantiert auch Schutz bei weiteren Flüchtgründen, bspw. bei Krieg. Auch diese Fluchtgründe werden in Deutschland individuell geprüft, einerseits, weil das Asylgesetz das so vorsieht und andererseits, weil die Genfer Flüchtlingskonvention und darauf basierende völkerrechtliche und europäische Vereinbarungen das so vorsehen.

Damit entpuppt sich der Vorstoß des Ministers bei genauerer Betrachtung als politisch motivierte Nebelkerze. Wer das Individualrecht auf Asyl abschaffen will, muss nicht nur das Grundgesetz ändern (ob dies überhaupt möglich ist siehe oben), er muss auch die Unterschrift Deutschlands unter der Genfer Flüchtlingskonvention zurückziehen und diverse europäische Verträge aufkündigen.

Und auch der Verweis des Ministers auf humanitäre Aufnahmeprogramme ist hier wenig hilfreich. Diese Aufnahmeprogramme können niemals einen Flüchtlingsschutz ersetzen, sie können maximal eine Ergänzung sein. Aktuell greifen sie in der Regel dann, wenn nach einer Flucht im Aufnahmeland – in der Regel den Anrainerstaaten der Herkunftsländer – katastrophale menschenunwürdige Zustände herrschen und deshalb die Aufnahmeländer entlastet werden sollen. Solche Aufnahmeprogramme sind richtig und wichtig zur Verhinderung humanitärer Katastrophen, sie sichern aber gerade keinen individuellen Schutz. Das Land, das ein solches Programm durchführt, sichert sich auch die Auswahl, nach dem Motto, den Flüchtlings will ich und den nicht. Das spricht nicht gegen solche Programme, sie können aber nur eine Ergänzung sein zum individuellen Recht auf Schutz vor Verfolgung, Krieg und Terror.

Wenn der Minister angesichts dieser Fakten dennoch eine Debatte startet, das individuelle Asylrecht für überflüssig zu erklären, warum tut er das? Was ist seine Motivation? Bisher wurde das individuelle Recht auf Schutz vor politischer Verfolgung in Deutschland nur von Rechtsextremen in Frage gestellt. 1993 gab es zwar die Aushöhlung dieses Rechts, dass es aber im Grundsatz bestehen bleiben muss, war demokratischer Konsens. Auch, weil die historische Erfahrung konstituierendes Moment der Bundesrepublik Deutschland war. Warum also kündigt der Minister diesen Konsens auf? Und warum gerade jetzt?

Ich fürchte, es ist Teil der Strategie, die die CDU seit einiger Zeit fährt. Seit Monaten sind bundesweit zwei Linien zu beobachten. Die erste ist die Linie, Geflüchtete als Belastung darzustellen, die aktuellen Migrationsbewegungen zu dramatisieren und deshalb drastische Maßnahmen zur Bekämpfung der „Flüchtlingswelle“ zu ergreifen. Dies kann man sich in Reinkultur in Brandenburg beim Agieren von Stübgen anschauen: wöchentliche Warnung vor angeblich explodierenden Flüchtlingszahlen, Herbeireden einer Krise bei der Unterbringung (die bis heute nicht existiert, was existiert ist eine Krise der sozialen Infrastruktur bei bezahlbarem Wohnraum, Schul- und Kitaplätzen, diese hat jedoch mit Flüchtlingszahlen recht wenig zu tun), Dramatisierung der Situation an der Grenze und Ruf nach Grenzkontrollen (die nichts bewirken werden), das Durchdrücken eines überdiemensionierten Abschiebedrehkreuzes (an dem vor allem ein wegen krummer Grundstücksgeschäfte vorbestrafter Investor verdient) usw. Hier könnte man noch sagen, die CDU will eigentlich nur die Wähler der AfD zurück gewinnen oder im demokratischen Spektrum halten und bedient deshalb deren Themen. Dass ihr das nicht hilft, zeigen die letzten Umfragen, wo die AfD massiv gewinnt und die CDU stark verliert. Ich fürchte aber, dass es zumindest nicht nur darum geht, denn es gibt da noch die zweite Linie der CDU Strategie…

Die zweite Linie ist die Normalisierung der AfD. Dabei bedient sich die CDU einer Taktik, die die AfD bei der Verschiebung des gesellschaftlichen Klimas seit Jahren anwendet: Tabubruch, nach dem öffentlichen Aufschrei einen kleinen Schritt zurück rudern, kurze Zeit später etwas größerer Tabubruch, wieder ein kleines Stück zurück usw. Zuerst sprach Merz darüber, auf kommunaler Ebene könne die CDU auch mal mit der AfD zusammen arbeiten, dann folgte die Verabschiedung eines Gesetzes zur Senkung der Grunderwerbssteuer mit Stimmen der AFD in Thüringen (und damit erstmals Gestaltungsmacht für die AFD), nun prescht der Chef der Grundsatzkommission der CDU vor mit dem Hinweis, eine Minderheitsregierung der CDU, die auch mal mit Hilfe der AfD Mehrheiten bekommt, sei denkbar. Es ist völlig klar, wohin die Reise geht: Die CDU will eine weitere Machtoption! Und dafür ist auch eine rechtsextreme Partei genehm.

Wir können also davon ausgehen, dass der Innenminister Brandenburgs sich ganz bewusst parteitaktisch motiviert gegen das Grundgesetz und die Genfer Flüchtlingskonvention stellt und mit falschen Behauptungen agiert. Er ebnet rechtsextremen Positionen den Weg in die Gesellschaft. Und er nutzt seine Stellung als Minister aus, um seiner Partei den Weg zur Macht zu ebnen – auch mit Hilfe einer rechtsextremen Partei (also der Partei, die der ihm unterstehende Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft hat und beobachtet). Das alles geht auf Kosten der Geflüchteten, auf Kosten des gesellschaftlichen Zusammenhalts und auf Kosten der Glaubwürdigkeit der demokratischen Institutionen.

Bleibt eigentlich nur eine Frage: Wie lange will Ministerpräsident Woidke dieses Agieren seines stellvertrenden Ministerpräsidenten und Innenministers noch tatenlos anschauen?